Kann ich das überhaupt sagen? Alltag? Ich habe auf den Moment gewartet, wo alles zur Konstanten wird, um diesen Beitrag zu schreiben, aber ich bin mir mittlerweile nicht mehr sicher, ob dieser Zeitpunkt kommen wird. Mal ist man krank, mal hat man eine neue Erkenntnis und mal steht der Urlaub kurz bevor. Man lernt immer irgendetwas Neues dazu und gewöhnt sich mehr und mehr an das anfangs Ungewohnte, was einen vermuten lässt, man sei jetzt aber wirklich angekommen.
Die Konstante ist meine Klasse. Meine erste Klasse mit den absolut tollsten und nervigsten Kindern. 11 Kinder darf ich 6 Stunden am Tag, 5 Tage die Woche unterrichten. Englisch, Mathe und alles was mir sonst noch so in den Sinn kommt. Aufgrund der großen Sprachbarriere und dem Mangel an jeglichem Material, beschränkt es sich sehr auf Malen, Singen und selbstgebasteltes Memory Spielen. Zeit zur Unterrichtsvorbereitung ist kaum. Es wird ein Lehrbuch aufgeschlagen aus dem die Lehrkraft Definitionen an die Tafel schreibt und die Kinder schreiben ab und lernen auswendig. Wofür sollten die Lehrkräfte also Zeit zur Unterrichtsvorbereitung bekommen?

Morgens klingelt gegen 7 der Wecker. Es wird sich kurz mit einem Eimer Wasser abgekühlt bevor man sich beim Teetrinken wieder vollschwitzt. Zwischen 7 und halb 9 trudeln die Kinder in der Schule nebenan ein und man merkt wie der Lautstärkepegel steigt. Irgendein Kind darf dann kräftig die Glocke läuten, während die meisten noch unterm Mangobaum hocken und ihren morgendlichen Reis verspeisen.
Da ich gemerkt habe, dass der Zusammenhang zwischen dem geschriebenen und dem Wort/der Zahl dahinter bei den meisten Kindern nicht vorhanden ist, wird jetzt jede Hausaufgabe einzeln durchgesprochen. So habe ich zumindest irgendwie die Chance, dass alle Kinder mitkommen. Nach einem kleinen Song als Übergang und einem großen Kampf, dass alle Kinder sich hinsetzten und zumindest für drei Sekunden leise sind, versuche ich den Kiddies etwas zu erklären, was bei manchen recht gut ankommt, bei anderen jedoch direkt abzuprallen scheint. Das Prinzip von leise sein, wenn ich rede, ist auch noch nicht so ganz angekommen. Es wird genau in dem Moment dringend ein Anspitzer gebraucht (was natürlich laut durch die Klasse geschrien wird) oder jemand will seine Zeichnungen von letzter Woche „bewertet“ haben. Alles muss mit einem Haken versehen werden. Wozu macht man denn sonst was die Lehrerin einem sagt?
Ich versuche den Rest so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten: ABC durch die Klasse aufsagen, mit Stühlen rechnen, Namensschilder basteln (die natürlich nur eine Woche halten), die Kiddies nach vorne holen zum Vorzeigen oder ein bisschen Eckenraten.
Nach einer halben Stunde Pause von 10 bis halb 11 geht’s in die zweite Stunde. Meistens doppelt so viel Chaos wie die erste. Es wird sich gerne geschlagen, durch die Klasse gerannt mit „Madame, no“ alles abgelehnt, was ich aufgebe und alle 5 Minuten stimmt ein Kiddo „head and shoulders knees and toes“ an. Zur Mittagspause um 12 ist dann das Schlimmste überstanden. Mit ihren Tupperdosen in der Hand rennen alle Kinder Richtung Kantine, während „CANTEEN, CANTEEN!“ geschrien wird.

Nach ca. 45 Minuten geht es wieder zurück in die Klassen, aber jetzt ist die entspannte Stunde angesagt. Die Buntstifte werden ausgepackt, die Musikbox wird angemacht und manchmal wird in Bilderbüchern gestöbert, die ich mühevoll in Kumasi ergattert oder von meiner Mami zugeschickt bekommen habe. Die letzten 30 Minuten sind nochmal anstrengend, aber dann wird sowieso nur noch eine kleine Hausaufgabe gegeben, bevor ich sie draußen spielen lasse.
Durch irgendein Zeichen, was ich anscheinend nie mitbekomme, wissen plötzlich alle Kinder, dass es Zeit für den „FIRST BUS, FIRST BUS“ ist und wenn alle Kinder wieder wie wild über den Schulhof laufen, bringe ich meine Sachen in mein Zimmer, schnappe mir einen Wasserbeutel und bin bereit die Tür für die Kinder im Schulbus zu öffnen.
Grundsätzlich ist das einer meiner Lieblingsteile des Tages. Alle Kinder freuen sich auf Zuhause, singen alle möglichen Lieder und ich kann die vorbeiziehende Welt genießen oder lesen. Kritisch wird es nur bei den letzten 5 Kilometern hubbeliger Sandstraße. Meinem bereits gereizten Kopf von all dem Geschreie, gefällt das nicht so gut…

Die zweite Tour überlassen wir dann Mahama. Ich brauch‘ erstmal eine Nachmittagspause. meistens sind wir gegen kurz vor 4 wieder zurück, wenn nicht gerade der Sprit ausgeht oder wir einen Platten haben. Wenn es notwendig ist oder ich aus irgendeinem Grund noch genug Energie habe, wird noch ein kleiner Shoppingtrip für Kekse, Kracker, Donuts oder fried Yam eingelegt, doch meistens ist es nach meinem Nachmittagspäus-chen auch schon dunkel. Dann wird die Lichterkette angemacht, die Gitarre rausgeholt und ein wenig geklimpert.
Ab 5 oder 6 steht das Essen auf dem Tischchen, doch meistens kommen wir nicht vor 7 dazu. Während wir am Mampfen sind, kommen nach und nach Baba, Fuseina und Adizah heraus und wollen entweder bespaßt werden, wollen ihre Hausaufgaben gemacht bekommen oder wollen Spiele auf unseren Handys spielen. Adizah erzählt mir meistens irgendwelche Geschichten aus der Schule, wie sie mal wieder geschlagen wurde, was für Stress es zwischen den Lehrkräften gibt oder wie gemein eine ihrer „Freundinnen“ ist. Meistens ist es ein Erzählchaos, aber ich liebe es. Es ist eine kleine Entschädigung für die Geschichten, die ich bei meinem kleinen Brüderchen momentan verpasse. Zwischendurch erweitern wir immer mal unseren Twi-Wortschatz mit neuen Sätzen, die im Unterricht oder auf der Straße ganz hilfreich sein könnten oder wir geben ein wenig Deutschunterricht.
So gehen die langen Tage seit mittlerweile über 100 Tagen doch recht schnell vorbei und ich falle um 10 Uhr tot ins Bett. Ich habe gelernt die schönen Momente vollkommen auszukosten und mit der Zeit lerne ich auch die anstrengenden, harten Momente immer mehr zu genießen oder zumindest sie als das zu sehen, was sie sind: Herausforderungen, die mir helfen zu wachsen. Wahrscheinlich ist genau das mein Alltag: mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert zu sein und irgendwie einen Weg da durch zu finden.